Körperfunktionen
Wissenschafts-Kolumne von Witte
Teil 6
Erstveröffentlichung in Kiezkieker #10 vom 19.12.2011
Den Ohren geht´s im öffentlichen Personennahverkehr meist wie dem Magen beim Fast Food: größtenteils kommt Scheiße rein. Ich verstehe das alles nicht so recht; Bier darf man nicht trinken, Mucke nicht machen und vom Schnorren wollen wir mal gar nicht erst anfangen. Aber sämtliche Mitreisenden mit Belanglosigkeiten malträtieren geht klar, diese Logik erschließt sich mir nicht. Man verstehe mich jetzt bitte nicht falsch, ich verfolge hier mal ´nen ganz libertären Ansatz und will niemandem was verbieten. Auch nicht den Assis das Telefonieren. Gerade denen nicht.
Sicherlich stehen auch hier Banalitäten und interessante Begebenheiten in einem krassen Missverhältnis, die wenigen guten Dinge haben es dann dafür aber oftmals in sich. Ganz weit vorne stehen für mich in diesem Zusammenhang Herzschmerz-Angelegenheiten; wer will es den Leuten schon zum Vorwurf machen, wenn sie ihre Beziehungsprobleme ebenso coram publico erörtern wie ihre Vorbilder in den Boulevardmedien? Und wenn Funk, Fernsehen nie anfragen, muss das Mitteilungsbedürfnis eben an den Umstehenden in Bus und Bahn ausgelassen werden. Ich stelle mich hier immer wieder gerne als stiller Rezipient zur Verfügung, denn man kann einiges lernen. Die eigenen, meist völlig verkopften Herangehensweisen an Probleme zwischenmenschlicher Natur mal zu hinterfragen beispielsweise. Klare Ansagen statt ellenlangem Geseire mit variabel interpretierbaren Gemeinplätzen, das ist doch ´ne feine Sache. „Ich will mit Dir mein Leben verbringen, bist Du dumm oder was?“, da weiß die Angebetete am anderen Ende des Mobilfunknetzes doch wenigstens, was Phase ist. Andere wissen mittlerweile, wie „Süße“ ihre Wochenenden verbringt (Ey auf Klo nä, hat Hakan misch rischtisch geil geleckt), das erzählte sie nämlich neulich einer Freundin, die übrigens auch „Süße“ hieß. Gibt schon ulkige Zufälle im Leben.
Dass Michele neulich ohne die Bild mit den Gutscheinen drin „Dom gegangen ist“, ist natürlich wirklich „enddumm“, da musste ich meiner Sitznachbarin uneingeschränkt Recht geben. Ihr Lebensabschnittgefährte hing währenddessen gute 15 Minuten per Handy in einer Warteschleife, bis er dann schlussendlich jemanden an der Strippe hatte. Das finde ich gut, diese Hartnäckigkeit imponiert mir. Dass die zugrunde liegende Causa dann eine noch nicht frei geschaltete Gratis-Stunde Internet war, soll hier nicht weiter in´s Gewicht fallen, denn schließlich geht es im Leben auch mal um Prinzipien. Sie sah das ähnlich, nur wünschte sie sich wohl eine etwas formellere Ausdrucksweise von ihrem Angebeteten, denn „… Du immer mit Deinem ciao-ciao. Das war eine Angestellte, da sagt man tschühüüs“.
Manche Geschichten wiederum sind für das unfreiwillige Auditorium wahrscheinlich deutlich lustiger als für die direkt Beteiligten. Ich für meinen Teil fühle dann solidarisch mit, denn wenn es heißt „…wie, unten raus? Aus der Muschi, oder was? Und was sagt der Frauenarzt?“ sind sowohl mein Interesse als auch meine altruistische Veranlagung sofort geweckt.
Viel direkter und ohne die Nutzung diverser Kommunikationstechnologien tragen die Kollegen ihre Meinungsverschiedenheiten aus, die ich immer dann im Bus treffe, wenn ich mal schön früh Feierabend machen kann. Gegen 15:00 ist nämlich Schichtschluss für diverse Leute mit diversen Beeinträchtigungen, die in der Nachbarschaft meines Brötchengebers in der Produktion tätig sind. Da gibt´s dann reichlich Mit-Lenker, Mit-Bremser und ähnlich liebenswerte Charaktere, ich fühle mich wohl in deren Mitte. Unangenehm wird es nur, wenn man unverschuldet in eine Auseinandersetzung zwischen „Haus 2“ und „Haus 5“ gerät. Da geht es dann gerne mal um die Bowling-Resultate von der letzten Weihnachtsfeier und meistens hoch her. Aus ´ner dicken Stirnbeule ließe sich ja eine hübsche Heldengeschichte konstruieren, aber ich bin doch eine ehrliche Haut und verschweige nicht, dass mich eine tief fliegende Bibi Blocksberg-Brotdose fast niederstreckte. In diesem Sinne: props and respect!