Körperfunktionen
Wissenschafts-Kolumne von Witte
Teil 4.1
Erstveröffentlichung in Kiezkieker #06 vom 17.10.2011
La petit mort, der kleine Tod. Diese hübsche Formulierung findet sich im Französischen vielfach genutzt als Umschreibung des sexuellen Höhepunktes. Es läge jetzt nahe, weit gefächerten Assoziationen zu den Themenkomplexen Orgasmus und Todeserfahrung an dieser Stelle Raum zu bieten. Ein bisschen Tantra-Yoga hier, ein wenig tibetischer Buddhismus dort, und für Freud fänden wir sicherlich auch noch Verwendung. Ring frei für den Kampf des Jahrhunderts: Eros vs. Thanatos, zwölf Runden, bis einer heult.
Ich hingegen verorte besagten kleinen Tod in einem ganz anderen Zusammenhang, und zwar der Vomitation. Wenn sich die schwallartige Entleerung des Magen- oder Speiseröhreninhaltes entgegen der natürlichen Richtung durch die Speiseröhre und den Mund Bahn bricht, heißt es Obacht. Jetzt gilt es nämlich aufmerksam zu sein und just in time zu handeln. Dumm dran sind diejenigen, die nicht rechtzeitig eingeatmet haben, ehe der erste Schwung den Rachenraum blockiert. Wenn dann Atemreflex und Kotzreiz miteinander im Clinch liegen, kann es schnell unappetitlich werden. Aspiration heißt das Einatmen von körpereigenen Sekreten medizinisch korrekt, was deutlich besser klingt als es sich anfühlt … eben ein klein bisschen nach Ersticken. Was so eine amtliche Göbelei ebenfalls mit sich bringen kann, ist gewisser Massen eine Form von sozialem Tod. Inwiefern dieser groß oder klein ausfällt, ist von mannigfachen Faktoren beeinflusst … wann, wo, wie viel? Wer sich zu fortgeschrittener Stunde nicht über den Aufriss, sondern über die Schüssel beugt bleibt zwar im Gedächtnis, die Chancen auf ein Wiedersehen stehen aber trotzdem relativ schlecht. Wohl dem, dem das wenigstens in den eigenen vier Wänden passiert. Orientierungslos mit der Hand vorm Mund auf der Suche nach einer Entsorgungsdestination durch unbekannte Gefilde zu stromern, ist ein wenig erstrebenswerter Zustand. Gerade auch, weil im Suff und im Dunkeln Einbauschränke und Vorratskammern Toiletten zum Verwechseln ähnlich sind …
Wahre Größe zeige sich in der Niederlage, sagt der Volksmund. Den routinierten Trinker erkennt man spätestens dann, wenn es die Fische mit einer gewissen Würde zu füttern gilt. In spannungsloser Körperhaltung einfach laufen zu lassen und sich selber zu benetzen, dass ist äquivalent zur Klatsche mit sechs Toren Differenz, die ein Aufsteiger bei einem etablierten Ligakonkurrenten erleidet. Wer sich entscheidet, in einem höheren Klassement zu spielen als bislang erprobt, sollte sich halt auch dazu entscheiden, mitzuhalten. Oder aber, man erhöht die physischen Defizite quasi zur Kunstform und vermarktet die eigenen Unzulänglichkeiten offensiv. Vor längerer Zeit fuhr mehr oder minder regelmäßig ´ne Type in den Fanladenbussen mit, die sich den hübschen Spitznamen Kotzer erarbeiten konnte. Am liebsten erleichterte sich dieser Charakterkopf auf der Rückfahrt (wenn das Millerntor schon wieder in Sichtweite war, Ehrensache) oral in eine Plastiktüte, um anhand dieser mit kreisenden Bewegungen oberhalb der Kopfhöhe dann den übrigen Insassen den Begriff „Zentrifugalkräfte“ zu verdeutlichen. Ich zumindest habe es verstanden.
Mehr zu diesem schönen Thema schon in wenigen Tagen gegen Frankfurt. Bis dahin lassen wir uns alle noch mal schön die besten Zech- und Brechgeschichten durch den Kopf gehen. Ein kleine, dünne Minzoblate gefällig?