Berlin Boredom

Hauptstadt-Kolumne von Simone de Coupe

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 | Teil 4 | Teil 5 | Teil 6

5 | Summer in the city

Erstveröffentlichung in Kiezkieker #36 vom 11.08.2013

Gemeinhin gilt der Sommer als besonders erotisch und sexuell stimulierend. Ich leide anscheinend unter einer sexuellen Störung. Nichts widert mich mehr an als eine Hitzewelle in einer Großstadt. Die Mülltonnen komponieren Geschmacksnoten, von denen meine Synapsen bisher nichts wussten und die Kanäle, Autos und Menschen reichern die explosiven Düfte mit weiteren exotischen Reizen an, dass einem nur vom Verarbeiten dieses widerlichen Breis aus Gerüchen der Schweiß ausbricht. Es regnet seit Wochen nicht. Der Siff frisst sich in die Bürgersteige, Touristenpisse ätzt sich in Hausfassaden und seit drei Wochen sehe ich jeden Morgen auf dem Weg zum Bus der gleichen Tomatenscheibe beim Verschimmeln zu.

 

Containerweise werden Touristen in die Stadt verschifft. Sie hängen den ganzen Tag auf der Straße rum und saufen. Sie erzählen jedem, wie toll es ist, dass man in Berlin auf der Straße saufen darf. Sie geben eine Menge Geld aus, nur um den ganzen Tag bumsvoll vor einem Kiosk abzugammeln. Früher nannte man so etwas Alkoholismus und die Eltern haben mit dem Finger hinüber gezeigt und gesagt: „Pass in der Schule gut auf, du willst doch nicht so enden!“ Heute ist es Lifestyle und so attraktiv, dass Menschen dafür extra her fliegen. „Berlin is like you know. Wow, it's I mean, you know. You can drink like everywhere. It's awesome man.“ Auch die Junge Union und diverse Gymnasien halten das mittlerweile für Kultur. Ganze Abiturjahrgänge kotzen die Oberbaumbrücke mit Alkopops voll und stehen am nächsten Morgen schielend neben Herrn Oberstudienrat Bindemeyer vor dem letzten Stück Berliner Mauer, wo sie sich direkt noch mal übergeben. Wer in Berlin lebt, muss nicht nur eine Menge Alkkotze wegwischen; er fragt sich auch, wie schön es wohl ist in anderen Ländern zu leben, wo die Alkoholiker so viel Geld haben, dass sie in den Urlaub fahren können.

 

Trotz aller guten Argumente. Sommer in der Stadt hat Lifestyletechnisch gerade einen multiplen Orgasmus. Die Menschen rasten geradezu aus, wenn sie merken, dass es Sommer ist und sie in einer hippen Großstadt leben. Sie kaufen sich fetzige Klamotten und setzen sich an die Ufer des Kanals, wo sie ihren eigenen Exkrementen beim Schwimmen zusehen und finden das total.... leisure. Ab ins Freibad, heisst es da in diversen Zeitschriften. Jeder Mensch der noch einen Funken Verstand im Leib hat, bleibt im klimatisierten Bus sitzen, wenn er am Freibad Neukölln vorbeifährt und die meterlange Schlange vor dem Eingang sieht. Die Bäder sind bereits am Vormittag so überfüllt, dass man das Gefühl hat jemand hätte einen Tauchsieder ins Becken gelassen. Es ist erfrischender, sich auf der Straße anzupinkeln, als seinen Körper in dieses brühwarme Wurstwasser zu stürzen.

 

Problem ist hier mal wieder, dass urbanes Leben für die Menschen bedeutet, dass sie die Gepflogenheiten, die sie auf dem Dorf gelernt haben, einfach auf die Großstadt übertragen. Das funktioniert nicht. Die Kanäle sind keine Gebirgsbäche, sie sind voll mit Scheiße und Chemikalien. Die Bäume an den Bushaltestellen gehören nicht zu einem schönen Wald, sie werden öfter angepinkelt als man in der Berliner S-Bahn um Kleingeld gebeten wird.

 

Wirkliche urbane Profis; ich will mich hier nicht abfeiern, aber denken sie an mich, haben da ganz andere Tricks auf Lager. Wenn ich mich im Sommer abkühlen will, gehe ich ins Park Center in Alt-Treptow, betrete den Real Markt und fahre dort mit der Rolltreppe ins Untergeschoss. Dort gibt es eine riesige Reihe mit offenen Gefriertruhen und hier kühle ich richtig runter. Zwischen Käpt'n Iglo und Langnese lässt es sich am besten erfrischen. Es gibt zwar Menschen die behaupten, Kühlschränke produzieren mehr Wärme als Kälte, aber zumindest im Park Center scheint dieses physikalische Gesetz ausgehebelt zu sein. Hier unten bei Real, da finde ich zu mir selbst zurück, der Puls wird gleichmäßig, die Atmung stabilisiert sich. Ich halte meine Finger an eine Packung Country Steak Frites von McCain und spüre, wie die Kraft von gefrorenen Kartoffeln der Güteklasse A meinen Körper durch-strömt. Um mich herum schieben glückliche Bürger ihre Einkaufswagen und lächeln freundlich zu dem Herren der sich eine Schachtel Heichelheimer Mini Reibis an den Nacken hält. Ich springe in ein Meer aus Jungen Erbsen der Marke Tip und die harten kalten Kugeln schmiegen sich sanft an meinen Körper und spenden ihm angenehme Kühle. Ich kaufe dann konsequenterweise nichts, denn Real ist mir viel zu teuer.