Berlin Boredom
Hauptstadt-Kolumne von Simone de Coupe
2 | Der wahre Berliner
Erstveröffentlichung in Kiezkieker #30 vom 8.03.2013
Nach nun fast einem halben Jahr in der Hauptstadt muss ich gelangweilt feststellen, der Hype geht mir total am Arsch vorbei. Ich finde die Stadt kackhässlich und das nicht erst seit gestern, das war schon vor 20 Jahren so. Momentan krankt Berlin an seiner Gentrifizierungsdebatte. Gruppen angeblicher Ur-Berliner sind genervt von diesen ganzen Hipstern und Spaniern, den Griechen und Yuppies und den Bio-Fressern und jeder anderen Laus, die über ihre Original-Berliner-Kiez-Leber krabbelt.
Manchmal nerven sie mich auch, die Biokäufer. Zum Beispiel wenn ich im Bio-Laden an der Kasse stehe und die dreijährige Zoey-Manhattan mir ihr beschissenes Dreirad fünf Mal in Folge in die Hacken schiebt und ihre hässlichen Eltern total entsetzt darüber sind, dass ich es wage, ein dreijähriges Scheißkind auf Dinkeldiät darauf hinzuweisen, dass es mir auf den Sack geht, wenn es mich grundlos zum Invaliden macht. Dann bekomme ich kurz Hass. Dabei bin ich doch selber ein Arschloch. Ich stehe in einer Schlange im Biomarkt, weil ich unbedingt vegane Pampe brauche, obwohl es beim Penny Markt diese Woche Cervelatwurst für 89 Cent zu kaufen gibt. Und unter uns gesprochen tun diese Leute doch keinem was. Ich glaube, so lange es auch nur noch einen Rassisten auf der Welt gibt, brauchen wir keine Diskussion über das Problem „Gutmensch“. Das ist im übrigen ein Naziwort, weswegen es vielleicht auch gerne in Texten von Frei.Wild auftaucht.
Es ist hier im Übrigen total in, Straßen- und Platznamen zu verkürzen. Aus dem Schlesischen Tor wird das Schlesi, der Görlitzer Bahnhof ist der Görli und das Kottbuser Tor das Kotti. Ich hoffe, wenn ich irgendwann zurück nach Hamburg komme, treffen sich die Leute nicht an den Landis, dem Heili oder dem Milli. Dann hau ich direkt wieder ab.
Zurück zu den angeblichen Ur-Berlinern und ihrer Hatz auf zugezogene. Diese Formationen angeblich waschechter Urgesteine kommen meist gar nicht hierher. Deswegen kennen sie sich auch so schlecht aus mit der Geschichte der Hauptstadt, denn sonst wüssten sie, dass Berlin schon immer ein Ort war, an den die Menschen aus der Provinz geströmt sind, um ihre Überzeugungen auszuleben. Und das, liebe Freunde, ist auch vollkommen okay so. Denn die so üppig beschimpften Bauern und Provinzidioten halten diese marode Stadt seit Jahrhunderten am Kacken. Berlin konnte sich noch nie selbst ernähren. Was es braucht, klaut es aus dem Umland oder gaunert es über den Länderfinanzausgleich in anderen Bundesländern zusammen, deren Einwohner dann im Vorbeigehen als Hinterwäldler beschimpft werden. Schon die Preußen haben in aller Herren Länder gemordet und geplündert, um sich in Berlin bigotte Bauten zu errichten.
Das bigotte Bauen ist in Berlin ebenso Tradition wie das Zureisen. Die ganze Stadt strotzt nur so vor brutal hässlichen Gebilden, die entweder die Preußen, die Nazis, die SED oder amerikanische Konzerne in die Landschaft geschissen haben. Man kann nur kopfschüttelnd davor stehen und sich fragen, was das soll. Manchmal sprechen mich engagierte Bürger mit einstudiertem Berliner Dialekt an und klären mich darüber auf, dass ein Konzern in Straße XY hässliche Häuser bauen will. Diese Leute müssen neu hier sein, denn sie sind ernsthaft entrüstet darüber, dass so etwas in Berlin möglich ist.
Ebenfalls sehr großer Popularität erfreuen sich die Schwabenhasser. Eine Gruppe degenerierter Dummdödel, die zuweilen Zuspruch von unserem ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse erhält. Schwaben verpesten angeblich die Kieze. Dabei ist Zausel Thierse selber aus Thüringen hier eingewandert; und ob das so viel besser ist als Schwaben, weiß ich nicht. Ich könnte jetzt damit anfangen, dass bereits die halbe 68-er-Bewegung und fast die komplette Führungsspitze der ersten RAF-Generation aus Schwaben nach Berlin gezogen ist. Und sogar die tolle Hildegard Knef, die gerne als Ur-Berlinerin hochgehalten wird, stammt aus Ulm. Aber die Knef, mein Gott, das Fass mach ich jetzt nicht auf.