Am falschen Ort zur falschen Zeit

 

 

In meiner Stammkneipe gibt es eine Tresenkraft, von der ein Bekannter immer sagt, dass sie aussehen würde als ob sie von einem Festival kommt. Von einem Festival, das schon länger vorbei ist. Nicht unbedingt Jahre, aber ein paar Wochen. Zeitlos, wäre eine positive Formulierung. Vielleicht auch nur am falschen Ort zur falschen Zeit oder umgekehrt. Michael Klinkert war Zeit seiner Karriere mindestens zweimal am falschen Ort zur falschen Zeit. Der Gladbacher Abwehrlegende wurde nämlich zweimal von seinem Torwart Uwe Kamps das Spielgerät per Abstoß an den Hinterkopf gedonnert. Gehirnerschütterung inklusive. Heute arbeitet er für eine Krankenkasse. Einmal stand er aber auch am richtigen Ort zur richtigen Zeit als ihm sein Mitspieler Thomas Kastenmaier, sowohl bekannt für harten Münchner Dialekt als auch seinen Rechtsschuss, einen Eckball direkt auf den Schädel servierte und er zum 2:0 (Endstand 6:1) gegen den VfB Leipzig einnickte. Vor der Ausführung hatte sich Kastenmaier noch auf einen Klappstuhl gesetzt, weil sich die Ausführung verzögerte. Der Stuhl stand da goldrichtig. Mario Basler hat sich einst vor einem Eckball gegen unseren magischen FC einen Pepita-Hut aufgesetzt, aus seiner Ecke wurde letzllich nichts, aus Basler auch nicht. Bleiben wir an der Ecke. Dort stand 2009 im UEFA-Cup-Halbfinal-Rückspiel auch HSV-Verteider Michael Graavgard und versuchte sich in der Ausführung eines sicheren Querpasses zu seinem Mitspieler. Eine Papierkugel, von der HSV-Choreografie übrig geblieben und achtlos auf den Platz geworfen, machte ihm aber einen Strich durch die Rechnung. Der Rest der Geschichte schnell erzählt; HahahahaSV! Aber nicht der einzige Ball, der in diesem Jahr Geschichte schreiben sollte. Beim Spiel Sunderland gegen Liverpool fälschte ein aufblasbarer Beachball den unplazierten Schuss von Darren Bent nicht nur (un-)haltbar ab, sondern landete gleich selbst hinter Keeper Pepe Reina im Netz, dessen Aufmerksamkeit sich auf den roten Ballon konzentrierte. Zwei Bälle im Tor, doch Endstand trotzdem nur 1:0. Den Ball hatte ebenfalls ein Fan der Reds auf den Platz geworfen.

 

 

 

Ebenfalls von Fans wurden im CL-Viertelfinale 2005 zwischen Inter und der AC Milan pyrotechnische Materialien geworfen. Promt trafen diese den AC-Keeper Dida ("Ist es Dida, Dida, Dida..."), der daraufhin zu Boden ging, behandelt werden musste und das Spiel mit 0.3 gegen Inter gewertet wurde. Selbstverständlich nicht ohne Schauspielvorwürfe gegen den brasilianischen Nationaltorhüter. Ein anderer Nationalkeeper zeigte da schon mehr method acting. Chiles Roberto Rojas wurde 1989 gegen Brasilien ebenfalls von einer Fackel am Kopf getroffen und musste das Spielfeld des Maracana mit blutenden Kopf auf einer Trage verlassen. Das Spiel wurde abgebrochen. Chile im Falle einer Entscheidung am grünen Tisch zur Fahrt zur WM nach Italien berechtigt. Bis Fernsehbilder bewiesen, dass er gar nicht am Kopf getroffen wurde und sich die Kopfwunde mit einer Rasierklinge selbst zugefügt hatte, die er extra in seinem Handschuh versteckt hatte. Das Spiel wurde für Brasilien gewertet, Chile für die WM 1994 gesperrt und Roberto Rojas mit einer lebenslagen Sperre belegt, der seine Tat zuerst noch leugnete. Ebenfalls ein reines Gewissen hatte Ahmed Akcay. Der türkische Schiedsrichter erzielte 1986 beim Spiel Ankargucu gegen Besiktas kurz vor Spielende mit seiner Schulter nach einer Ecke ein Tor. Er selbst gab das Tor, da der Schiedrichter, laut Regel, "Luft" sei und damit alles regulär gewesen sei. Besiktas verlor das Spiel mit 0:1 und beendete die Saison mit einem Punnkt weniger, aber dem deutlich besseren Torverhältnis, hinter Tabellenführer Galatasaray auf Tabellenplatz zwei. Ein anderer Schiedsrichter, nämlich Maurice Paarhuis, stand 2019 ebenfalls goldrichtig und erzielte in der Drittligabegegnung einen Treffer. Auch er gab den Treffer, schämte sich dafür aber im Nachhinein. Zum Glück hatte der Treffer keine größeren tabellarischen Auswirkungen. Aber nicht nur Menschen, sondern auch Dinge können sich am falschen Ort befinden.

 

 

 

Die vom australischen Radiologen Dr. Frank Gaillard ins Leben gerufene Seite radiopaedia.org wird von Medizinern aus aller Welt mit anonymisierten Röntgenaufnahmen und Fallbeschreibungen gefüttert. Hier erfährt man ungewohnt offen, dass "rektale Fremdkörper im menschlichen Körper keine Seltenheit sind" und in Notfall-Ambulanzen der ganzen Welt in Augenschein genommen werden. Unvorstellbar groß ist die Liste der Objekte, die die Literatur da beschreibt: Manchmal sind es Drogenpäckchen, die geschluckt oder in den Magen-Darm-Trakt eingeführt transportiert werden sollen. Im anderen Fall erstaunen die Mediziner über verworrene Erklärungen, die Betroffene abgeben, die Gemüse, ein Glas Instantkaffee, Glühlampen oder einen gefrorenen Schweineschwanz im Darmtrakt verloren haben. Als rektale Fundstücke werden dort Röntgenbilder gezeigt, die neben Deoflaschen auch Zahnbürsten oder einen Stößel zeigen. Dieses Küchenutensil, das sonst zum Zermalen von Kräutern und Getreide benutzt wird, geriet laut Schilderung des betroffenen 40-Jährigen durch einen unglücklichen Unfall in seinen Darm-Trakt. Beim Kochen eines malaysischen Gerichts sei er ausgerutscht und auf das handliche Küchengerät gestürzt, so schildert Dr. Gaillard den Fall. Eine medizinische Fallstudie aus Indien sieht eine besondere Häufung in Osteuropa und Asien. Meist sind es eher Männer unterschiedlichsten Alters, die nach dem Einführen diverser Gegenstände in den Anus sozusagen den Kontakt verlieren, in selteneren Fällen Frauen, denen in die Vagina eingeführte Dinge abhanden kommen. Besonders bei älteren Männern sind es bizarre Fundsachen wie Drähte, Haarnadeln oder Pinzetten, die aus der Harnröhre gezogen werden. In den meisten Fällen gelingt es den Ärzten, die Gegenstände auf ähnlichem Wege wieder hinaus zu holen, wie sie auch ins Innere kamen. Im Anschluss an solche Eingriffe ist meist die Spiegelung des jeweiligen Organs sinnvoll, um innere Verletzungen auszuschließen. Zu den kuriosen Leidenschaften zählen nicht nur verirrte Sexspielchen. Manchmal steckt hinter peinlichen Endergebnissen wie Flaschen im Darm der Versuch, auf nicht ratsame Weise eine Verstopfung zu beseitigen. Mancher muss nach so viel Einfallsreichtum schmerzvoll erfahren, dass Tabletten Nebenwirkungen haben, Flaschen jedoch auch. In einer medizinischen Fachpublikation schildern türkische Ärzte den Fall eines 22-jährigen Patienten, der als Notfall ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Er setzte aus Scham sein Leben aufs Spiel. Denn fünf Jahre zuvor war beim Sexspiel eine komplette, gefüllte Getränkeflasche in seinem Anus verschwunden. Fortan bewältigte er mit einer Flasche im Körper seinen Alltag. Wie die Ärzte schildern, ist das größte Problem nach solchen "Missgeschicken", dass sich die Betroffenen nicht rechtzeitig medizinische Hilfe holen und so eine "Palette von Komplikationen riskieren, die sogar zum Tod führen" können. In diesem Fall hätte der Fremdkörper im Körper zu Abzessen, Fisteln, einer Entzündung des Knochenmarks oder einer Blutvergiftung führen können. Der Mann überlebte, weil die Mediziner die Flasche mit Hilfe eines Bauchschnitts operativ entfernen konnten.

 

Gefährlich werden können Sexspielzeuge wie Vibratoren („Da lag der Vibrator meiner Schwester auf dem Sofa und ich habe mich aus Versehen draufgesetzt.“) auch dann, wenn sie im Innern ungünstig die Richtung verändern. Sitzen Gegenstände derart fest, können sie oft mit Hilfsmitteln wie Geburtszangen, Schlingen oder Kathetern zurück ans Tageslicht geholt werden. Manchmal aber kommen die Ärzte bei allen Bemühungen so nicht zum Ziel. Im letzten Fall hilft dann nur eine Operation, die Betroffenen aus einer misslichen Lage oder aus der Lebensgefahr zu retten. In einem besonders dramatischen Fall hatte sich ein Mann eine tiefgefrorene Forelle mit dem Kopf voran in den Darm geschoben, die durch die Körpertemperatur aufgetaut wurde und damit an Statik verlor. Beim Versuch sie wieder aus dem Darm zu ziehen, perforierte er sich durch die entgegen gesetzten Gräten den gesamten Darm und überlebte nur knapp. Anus Heil, Petri Dank!

 

 

 

Nicht immer aber gelingt das. Besonders schwierig wird es dann, wenn Menschen zu ihrem eigenen Opfer werden. Wie in einem Fall, in dem einem 54-Jähriger zunächst eine Gurke und danach eine Pastinake aus dem Magen-Darm-Trakt entfernt worden war, in Folge dessen sich sein Bauchfell entzündete. Offensichtlich konnte er dennoch aufgrund einer schweren krankhaften Störung nicht davon ablassen und schob zwei Äpfel hinein. Er verstarb an der Bauchfellentzündung. In einem E-Learning-Kurs der Charité wird den angehenden Medizinern unter anderem eine Röntgenaufnahme gezeigt, auf der als Fremdkörper eine Ein-Liter-Farbflasche zu sehen ist, die in den Mastdarm eingeführt wurde. Hier machte ein akuter Darmverschluss die Sache zum medizinischen Notfall. Nach dem Entfernen des Fremdkörpers löste sich zur Erleichterung der Ärzte jedoch auch der Verschluss des Darms. Diese kann — bliebe sie bestehen — lebensgefährlich sein, weil der Weitertransport des Darminhalts ins Stocken gerät. Dadurch kann es zu einer Blutvergiftung kommen. Zudem besteht die Gefahr eines Durchbruchs der Darmwand sowie das Risiko, dass Darmteile absterben. Nicht immer stecken hinter den seltsamen Funden der Radiologen und Chirurgen allerdings ausgefallene sexuelle Vorlieben. In einem Fall schluckte ein 36-jähriger Heroinabhängiger ein in Cellophan verpacktes Feuerzeug hinunter, das erst nach 17 Monaten endoskopisch entfernt wurde.

 

 

 

Bjergen motherfuckin´ Kjergen